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Die "Tontafeln von Nuzi"

Archäologen graben die alte hurritische Stadt Nuzi (Reich Mitanni) aus


Grafik: Lage der Stadt »Nuzi«



Die Grabungen in "Jorgan Tepe" ab 1925

Im Norden des Irak, 8 km südwestlich des modernen Kirkuk, stießen Archäologen aus den USA und dem Irak auf eine umfangreiche Siedlung, die alte Stadt NUZI der Hurriter (Königreich Mitanni).

Es war in den Jahren 1925 - 1931, als im heutigen "Jorgan Tepe" (Irak) unter der Leitung von E. Chiera, R.H. Pfeiffer und R.F.S. Starr die Grabungen durchgeführt wurden. Die kooperative Aufgabe wurde im Auftrag des "American Schools of Oriental Research", des Irak-Museums und des "Harvard Semitic Museums" durchgeführt.



Die Stadt Nuzi

Die älteste Besiedlungsschicht dieser alten hurritische Stadt datiert aus der Ubaid-Periode, während die jüngsten Spuren aus römischer Zeit stammen. Nuzi bestand also vom 3. Jt. v.Chr. bis in die römische Zeit. Es gab zwei Hauptphasen der Besiedlung:

    Die erste Phase der Besiedlung fand im 3. Jt. v.Chr. statt. Der Ort war damals unter dem Namen "Gasur" bekannt.

    Die zweite Phase der Besiedlung ist für die Zeit im 15. - 14. Jh. v.Chr. nachweisbar. Während dieser Periode stand die Stadt unter hurritischem Einfluß und trug den Namen "Nuzi". Sie war ein bedeutendes hurritisches Zentrum.


Die Funde in Nuzi

Bei den Ausgrabungen legte man u.a. einen mehrfach umgebauten und erneuerten Tempel sowie einen z.T. mit Malereien verzierten Palast frei.



Die Tontafeln

Im Palast und in Privathäusern wurden über 4.000 Tontafeln gefunden, die in einem lokalen hurritischen Dialekt beschrieben sind. Diverse Archive wurden ausgegraben, wobei am bekanntesten das des Tehiptilla (ca. 1000 Tafeln), das des Prinzen Schilwateschub und das Archiv der erfolgreichen Geschäftsfrau Tulpunnaja sind. Die Texte umfassen etwa fünf Generationen und geben damit ein detailliertes Bild des Lebens in einem alten mesopotamischen Gemeinwesen innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums.



Die Relevanz der Funde für die Bibelwissenschaft

Für die Bibelwissenschaft sind diese vielen Informationen über die einheimische hurritische Bevölkerung, insbesonders im Bereich des Familienrechts, von großem Interesse. Es ergaben sich nämlich wertvolle Parallelen zu manchen Gesellschafts- und Rechtsbräuchen in den Erzvätererzählungen (Patriarchen).

    Ein Großteil der Dokumente behandelt Erbschaftsangelegenheiten. Oberall im Nahen Osten des Altertums erbte der älteste Sohn einen größeren Anteil als seine Brüder, obwohl die genaue Aufteilung variierte. Die Praxis, daß der älteste Sohn einen doppelt so großen Anteil wie seine Brüder erbte, war in Nuzi geläufig und ist auch in anderen Keilschrifttexten aus dem 2. Jt.v.Chr. überliefert. Sie weist deutliche Parallelen zu 4Mo 21,17 auf, obwohl die Patriarchen auch anders verfuhren (1Mo 25,5-6).

    Jeder Erbe konnte auch enterbt werden. Ein derart drastisches Vorgehen war nur bei Vergehen gegen die Familie gestattet. Die Verweise auf »Respektlosigkeit« und »Ungehorsam« gegenüber den Eltern geben einen Verständnishintergrund für Rubens Zurücksetzung (1Mo 35, 22; 49,3f), aber auch hierzu lassen sich andernorts ähnliche Beispiele finden.

    Auch die Übertragung oder der Verkauf des Erstgeburtsrechts (vgl. 1. Mose 25,31-34!) ist in Nuzi dokumentiert. In der damaligen Gesellschaft wurde das Erstgeburtsrecht, unabhängig von der chronologischen Reihenfolge der Geburt, von den Eltern verliehen; vgl. 1. Mose 49,3-4, wo Ruben wegen eines Vergehens gegen seinen Vater das Erstgeburtsrecht aberkannt wird. Im Gesetz des Mose wurde dieses Recht der Eltern dann beschnitten (5. Mose 21,15-17).

    Die Adoption nimmt ebenfalls einen wesentlichen Platz in den Texten ein. Ein Mann ohne Erben konnte einen Außenstehenden adoptieren, der dadurch seinen Adoptiveltern gegenüber bestimmte Verpflichtungen übernahm. Ähnliche Praktiken sind auch aus anderen mesopotamischen Texten bekannt. Zu den Pflichten der Erben zählte die Versorgung der Eltern mit Nahrung und Kleidung, vor allem in deren hohem Alter, und die Sorge für eine angemessene Bestattung. Es ist anzunehmen, daß Abraham Elieser aus diesem Grund vor Isaaks Geburt adoptiert hatte (1Mo 15,2-4).

    In Nuzi erhielt ein leiblicher Sohn später gewöhnlich einen größeren Anteil vom Erbe als ein adoptierter. Gelegentlich wird auch die Adoption eines Sklaven erwähnt. Das Verfahren der Adoption wurde in Nuzi auch rein fiktiv gehandhabt, wobei Eigentum, legal offenbar unveräußerlich, verkauft werden konnte. Tehiptilla wurde beispielsweise auf diese Art etwa 150 mal »adoptiert«.

    Neben der Adoption erwähnen die Nuzi-Texte drei weitere Möglichkeiten für kinderlose Ehen, Erben zu bekommen. Der Mann konnte wieder heiraten oder eine Konkubine nehmen, die Frau konnte ihrem Gatten aber auch die eigene Sklavin anbieten. Letzteres Verfahren, welches der kinderlosen Frau auch Sicherheiten bot, hat seine Parallele bei Sara, Rahel und Lea (1Mo 16,1-4; 30,1-13). Für Nuzi ist nur ein solcher Fall belegt (Text 5.67), aus Babylonien und Assyrien sind weitere bekannt. Ein von einer Sklavin geborener Sohn mußte nach mesopotamischem Recht vom Vater adoptiert oder legitimiert werden; die Nuzi-Texte äußern sich zu diesem Punkt nicht genau. Text 5.67 deutet zumindest an, daß die Frau das Erziehungsrecht über die Kinder ihrer Sklavin behielt, und es gibt Hinweise darauf, daß Sara, Rahel und Lea von der Namensgebung an Verantwortung für die Sprößlinge ihrer Sklavinnen übernahmen.

    Obwohl die Nuzi-Texte nichts über väterlichen Segen nach Art von 1Mo 27,29.33; 48,1ff aussagen, enthalten sie doch gelegentlich mündliche Zusagen, die eindeutig Rechtsgültigkeit besaßen. Eine solche Zusage gab ein kranker, bettlägeriger Vater seinem Sohn (vgl. Isaak). Sowohl Nuzi-Texte als auch Berichte aus 1Mo kennen mündliche Vereinbarungen, die sich auf gesetzliche oder gewohnheits-rechtliche Sicherheiten stützen; symbolische Handlungen wie *Handaufle-gung waren dabei üblich.

    Erklärungen auf dem Totenbett haben Rechtsgültigkeit sowohl in Nuzi, wie im Alten Testament; sie beginnen mit einer Formel wie in 1. Mose 27,2: »Siehe, ich bin alt geworden...«

    Frauen werden in den Nuzi-Texten häufig erwähnt. So haben Töchter das Recht, wenn keine Söhne vorhanden sind, Familienbesitz zu erben.

    Daß Rahel bei der Flucht vor ihrem Vater Laban dessen Hausgott stahl (l. Mose 31, 19ff.), wurde ebenfalls mit den Rechtstexten von Nuzi in Verbindung gebracht, nach denen die Götzenbilder der Familie dem Haupterben als Symbol der Einheit des Haushaltes vererbt wurden. Es ist jedoch fraglich, ob ihr Besitz einen rechtlichen Erbanspruch auf den elterlichen Besitz darstellte.

Heute beherbergt das "Semitische Museum" der Harvard Universität/USA Funde aus Nuzi.



Quellen

Avraham Negev (Hrsg.), Archäologisches Bibellexikon, Filderstadt: Hänssler-Verlag, 1991, ISBN 3-7751-168-0

Helmut Egelkraut (Hrsg.), Das große Bibellexikon, Band 2, Wuppertal: R. Brockhaus-Verlag, 1988, ISBN 3-417-24612-1, S. 1072



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Ins Netz gesetzt am 29.08.2003; letzte Änderung: 28.04.2013
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