Archaeopteryx - Vogel oder Dinosaurier?

Fund des zehnten Archaeopteryx im Solnhofer Plattenkalk verblüfft Wissenschaft mit neuen Krallen-Details

Von Holger Kroker

Frankfurt/Main - Auf den ersten Blick wirkt das Skelett eines vielleicht rabengroßen, aber wesentlich zierlicher gebauten Tieres auf einer Kalksteinplatte ziemlich unspektakulär. Das Fossil, das Gerald Mayr vom Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt vor sich auf dem Tisch hat, ist das zehnte Exemplar des Urvogels Archaeopteryx.

Dieses bislang unbekannte Fossil zeigt erstmals Details des Urvogels, die sich die Paläontologen ganz anders vorgestellt hatten. "Das Fossil verwischt die Grenze zwischen den Deinonychosauriern, von denen wir glauben, daß aus ihnen der Urahn aller Vögel kommt, und den Vögeln selbst", erklärt Mayr. In der aktuellen "Science" berichtet der Frankfurter Ornithologe zusammen mit zwei Kollegen über diese Erkenntnisse. Die Deinonychosaurier waren kleine, flinke Raubsaurier. Zu ihnen gehörte auch Velociraptor, die Bestie aus "Jurassic Park".

Ein Privatmann fand die knapp einen Viertel Quadratmeter messende Steinplatte mit dem zehnten Archaeopteryx im Solnhofer Plattenkalk, aus dem auch die anderen Urvogelfossilien kommen. Bis vor kurzem war dieses Fossil der Fachwelt nicht bekannt, jetzt ist es an das Wyoming Dinosaur Center in den USA verkauft worden - vermutlich für einen Millionenbetrag.

Seit der erste Archaeopteryx 1861 in Solnhofen geborgen wurde, er befindet sich heute im Natural History Museum in London - tobt die Auseinandersetzung, ob dieser 150 Millionen Jahre alte Urvogel nicht doch eher Dinosaurier denn Vogel ist. In jüngster Zeit hat der Streit an Schärfe noch zugenommen, weil Fossilien von gefiederten Dinosauriern aufgetaucht sind. Das "Thermopolis-Fossil" kappt jetzt eine weitere Verbindung zwischen dem vermeintlichen Urvogel und seinen heutigen Verwandten. Mayr zeigt auf den winzigen, knapp zentimeterlangen vierten Zeh am Hinterfuß des Tieres. Der Zeh liegt seitlich abgespreizt neben den drei anderen Zehen des Hinterbeins, etwa so wie beim Menschen der Daumen. Vögel dagegen haben den vierten Zeh nach hinten gedreht und damit den drei anderen Zehen gegenüberstehend. "Damit fehlt Archaeopteryx eigentlich das letzte typische Vogelmerkmal", urteilt Mayr, "er ist einem Vogel wesentlich unähnlicher, als es in den Lehrbüchern dargestellt wird."

Er konnte wohl auch nicht so gut in Bäumen herumklettern wie die heutigen Vögel. Statt eines Waldes haben die Urvögel wohl zerklüftetes Terrain mit buschbewachsenen, steilen Klippen bewohnt. "Das würde auch mit den botanischen Befunden aus dem Lebensraum übereinstimmen", erklärt Mayrs Mitautor Professor Stefan Peters.

Auch für die Entwicklung des Lebens an sich ist die Reptilienähnlichkeit des Archaeopteryx kein unwichtiges Detail, denn die Urvogelfossilien sind Zeugnisse eines Großereignisses in der Entwicklung des Lebens: Mit den Vögeln entsteht eine komplett neue systematische Klasse von Wirbeltieren, die sich die Luft als Lebensraum erschließt. Außer den Insekten sind sie hier nahezu konkurrenzlos.

In dieser fernen Entstehungszeit verschwimmt mit jedem neuen Fossil die Grenze zwischen Reptilien und Vögeln. Heutzutage sei die Sache klar, meint Peters: Nur Vögel haben Federn, einen Schnabel und den speziellen Fuß mit dem nach hinten gerichteten Zeh. Doch am Beginn des Vogelstammbaums werde die Sache kritisch.

Archaeopteryx hatte bereits die für den Flug nötigen Federn, ihm fehlten jedoch die Muskeln. Manche Dinosaurier waren ebenso gefiedert und hatten Schwungfedern. Einige Reptilien, die jünger als Archaeopteryx waren, zeigen schon wieder Anzeichen für eine Rückbildung des Federkleides. Für die Paläontologen stellt sich damit die Frage, wie man die ursprünglichsten Vögel von ihren gleichzeitig lebenden Saurierverwandten abgrenzen kann. Denn Archaeopteryx hat mit dem neuen Fossil nicht nur Vogelmerkmale verloren, sondern auch Sauriermerkmale gewonnen.

Für weiteren Diskussionsstoff ist also gesorgt, so daß 145 Jahre nach der Entdeckung des ersten Urvogels der Streit um seinen Platz im Vogelstammbaum weitergeht. "Es ist wie in guten Krimis: Je mehr Hinweise der Kriminalinspektor hat, um so verwirrter wird er", sagt Peters, "das ist bei Biologen nicht anders."

Bild aus der Morgenpost

Im Ultraviolett-Licht kommt die Knochensubstanz des zehnten Archaeopteryx-Skeletts besonders gut zur Geltung

Foto: Promo



Die bisherigen Archäopteryxfunde: Der Solnhofer Plattenkalk und seine Fossilien (mit Grafiken)



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Ins Netz gesetzt am 13.12.2005; letzte Änderung: am 09.06.10
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