Erziehung zur GemeinschaftsfähigkeitBeziehungs- und Gemeinschaftsfähigkeit sind ein Barometer für seelische Gesundheit. Je kontaktgestörter, beziehungsärmer und gehemmter ein Mensch ist, desto eher flieht er in störende Verhaltensmuster. Grundsätzlich gilt: Die Ich-Du-Beziehung funktioniert nur, wenn zwei Menschen Beziehungen pflegen wollen. Was beinhaltet Gemeinschaftsfähigkeit?Kinder, Jugendliche und Erwachsene können mit anderen Menschen Kontakt aufnehmen,
Wir halten fest:
Seit dem Sündenfall ist die Gemeinschaftsfähigkeit gestörtDie Vertreibung aus dem Paradies hat dem Menschen eine Welt mit Dornen und Disteln beschert. Sünde, psychische Störungen und Krankheiten aller Art gehören zum Alltag, auch des Christen. Mit dem Sündenfall haben alle Beziehungen des Menschen einen Knacks bekommen.
Wie kommt es zu Störungen der Gemeinschaftsfähigkeit?Beziehungen in der Ursprungsfamilie haben eine enorme Bedeutung. Schwächen und Stärken kristallisieren sich im Zusammenleben mit Eltern, Geschwistern und Großeltern heraus. Lebens-, Arbeits-, Liebes- und Konfliktfähigkeit werden in der Familie trainiert. Die Wahl des Partners hängt nicht unwesentlich von den Erfahrungen ab, die ein Kind mit Eltern und Geschwistern gemacht hat.
Störungen des Selbstwertes führen in der Regel zu Minderwertigkeitsgefühlen. Verwöhnung ist der sicherste Weg in eine psychische Fehlhaltung. Verwöhnung und Verzärtelung provozieren ständig neue Wünsche und Forderungen. Verwöhnung entmutigt und macht suchtanfällig. Der Verwöhnte weicht der Realität aus, flieht in Tagträume und irreale Zukunftsphantasien. Eine Überkompensation der Minderwertigkeitsgefühle ist das Geltungsstreben. Es signalisiert den Willen nach oben ohne Willen zur Leistung. Im Hintergrund steht Entmutigung. Geltungsstreben tritt oft getarnt auf und wird durch Selbstanklagen, Verkleinerungstendenzen und überstrapazierte Schuldgefühle verschleiert. Auf Umwegen will der Mensch zur Größe. Sein Motto lautet "Eine Laus oder Napoleon". Die Selbstwertstörung erfaßt alle Bereiche. Der Mensch findet sich nicht liebenswert, nicht attraktiv, hält sich nicht für intelligent. Er gibt sich gehemmt, schüchtern, beschäftigt sich viel zuviel mit sich, weicht Kontakten aus, ist mißtrauisch oder hält sich für etwas Besonderes. Zusammengefaßt: Eine verminderte Gemeinschaftsfähigkeit führt
Was sollten Eltern und Erzieher bedenken?Gemeinschaftsfähigkeit liegt uns nicht im Blut. Wir müssen sie erwerben, erlernen, trainieren. Ein gutes Zusammenspiel von Eltern, Erziehern und Kindern ist dafür die Basis. Denkanstoß Nr. 1: Wenden Sie die goldene Regel des Zusammenlebens an!Wo Menschen zusammenleben, gibt es Reibungen, Konflikte und damit Ärger. Im Lukas-Evangelium gibt uns Jesus eindeutig zu verstehen, wie das Zusammenleben gelingen kann. "Behandelt die Menschen so, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wollt - das ist alles, was das Gesetz und die Propheten fordern" (Matth. 7,12). Ein schlichter und idealer Satz. Ein revolutionärer Gedanke, wenn er von uns umgesetzt wird.
Denkanstoß Nr. 2: Akzeptieren Sie das Kind - wie es ist!Nicht wie es sein sollte. Unser Herr hat uns vorgemacht, was Liebe ist. Er liebt uns bedingungslos. Er sagt ja zu uns - mit allen Schwächen und Fehlern. Annahme ist das A und O in zwischenmenschlichen Beziehungen. Eingeschränkte Annahme beinhaltet eine eingeschränkte Beziehungsfähigkeit. Das Kind bekommt das Gefühl, daß es nicht dem Anspruch genügt, nicht wertvoll, nicht liebenswert ist. Und diese Mängel beeinträchtigen sofort die Gemeinschaftsfähigkeit. Denkanstoß Nr. 3: Verantwortung zumuten!Schon kleinste Kinder wollen mithelfen. Wir muten ihnen die Verantwortung zu. Es ist ein großer Fehler, wenn wir erst später - mit 10 bis 12 Jahren - Verantwortung von ihnen fordern. Der Vater geht arbeiten, die Mutter macht den Haushalt und kocht (wenn wir einmal von dieser althergebrachten Konstellation ausgehen), dann können auch kleine Kinder den Tisch decken, abräumen usw. Verantwortung wird nicht gefordert, sie reizt augenblicklich zum Widerspruch, sie wird zugemutet. Sie ist eine Selbstverständlichkeit. Wir können nicht diskutieren, ob Vater arbeiten geht, also können wir auch nicht diskutieren, ob mitgearbeitet wird. Über das Wie, die Modalitäten, über Zeit und Kraft wird selbstverständlich nachgedacht. Denkanstoß Nr. 4: Überprüfen Sie Ihre eigenen destruktiven Verhaltensmuster!Wenn Eltern zur Gemeinschaftsfähigkeit erziehen wollen, müssen sie ihre eigenen Umgangsmuster unter die Lupe nehmen: Was stört unsere Beziehungsfähigkeit? Welche Praktiken sind gemeinschaftsfeindlich? Welche Denkgewohnheiten untergraben die Liebesfähigkeit? Neigen wir zum Kritisieren? Sind wir perfektionistisch? Haben wir zu hohe Erwartungen? Neigen wir zu Pessimismus? Sind wir fehlerorientiert? Sind wir bereit, diese Muster mit unseren Kindern zu besprechen? Können wir miteinander darum beten, daß wir sie verringern? Denkanstoß Nr. 5: Vermeiden Sie Angst, Drohungen und Erpressungen!Diese Einstellungs- und Verhaltensmuster blockieren die Vertrauensbasis zwischen Eltern und Kindern. Vertrauen ist aber die Grundlage jeder Beziehungsfähigkeit. Mißtrauen ist ein Beziehungskiller. Angst blockiert, macht unkritisch. Sie verstärkt die Hemmung, macht einsam und fördert den Rückzug. Auch Drohungen und Erpressungen sind schlechte Ratgeber. Das Kind wird entmutigt. Es bekommt Angst vor dem Leben und vor der Beziehung. Denkanstoß Nr. 6: Sie ermutigen, wenn Sie selbst ermutigt sind!Ermutigen kann nur ein ermutigter Erzieher. Ihn kennzeichnet Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen. Er glaubt an seine Stärken und an die Möglichkeiten seiner Kinder. Was will der Erzieher erreichen? Will er sein Kind kleinhalten, will er es unselbständig und abhängig machen? Oder legt er Wert darauf, ein selbständiges, mündiges und abgenabeltes Kind zu erziehen? Das selbständige Kind denkt und handelt freier von Angst, lebt weniger Hemmungen und geht auf Menschen zu. Ermutigung ist wichtiger als Lob. Loben kann ich nur Leistungen. Ermutigen kann ich auch ein Kind, das Fehler gemacht und eine Arbeit danebengeschrieben hat. Ermutigen heißt: Ich glaube an das Kind. Es wird kontakt- und gemeinschaftsfähiger, wenn es auch an sich glaubt. Der ermutigte Mensch strahlt Geborgenheit und Zuversicht aus. Er glaubt an sich und seine Möglichkeiten. Und weil er Selbstvertrauen hat, praktiziert er Gemeinschaftsfähigkeit. Hinweise für den Selbsterforschungsfragebogen
1. Bitte füllen Sie den Bogen ohne langes Nachdenken aus! Der erste Faktor (Furcht) beinhaltet: Wie weit hemmt Furcht Ihre Beziehungen? Spielen Befürchtungen in Ihrem Leben eine Rolle? 2. Fünfundzwanzig Störfaktoren können die Gemeinschaftsfähigkeit beeinflussen. Können Sie nachvollziehen, daß diese Einstellungsmuster die Beziehungsfähigkeit blockieren? 3. Nehmen Sie zwei Faktoren ins Gebet und in Arbeit, die in Ihren Augen am stärksten ausgeprägt sind und Ihre Beziehungsfähigkeit hemmen.
4. Wie lautet konkret Ihr Gebet, um diese Störfaktoren in Arbeit zu nehmen? 5. Wenn Sie die Motive Ihres Verhaltens nicht durchschauen, sind Sie bereit, mit einem Fach-Seelsorger die Störungen aufzuarbeiten? © 2002 Reinhold Ruthe. Alle Rechte vorbehalten. Der Autor, Reinhold Ruthe, ist Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche sowie Eheberater, Autor und Dozent. Dieser Artikel ist mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift "Weisses Kreuz" Zeitschrift für Lebensfragen entnommen. Sie können gerne diese kostenlose Zeitschrift abonnieren.
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